Thursday, November 13, 2025
Konzert Herbst 2025: Epitaph PDF Drucken E-Mail

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Vokalensembles Josquin des Prés,

unser Herbstkonzert fällt dieses Jahr auf das Wochenende des Volkstrauertages, weshalb wir das Konzertprogramm mit EPITAPH übertiteln.

Epitaph

 

Dabei handelt es sich um den griechischen Begriff für Grabinschrift bzw. Grabmal oder Gedenkplatte, die man oft in Kirchen an Wänden oder im Boden eingelassen oder auf Friedhöfen findet.
Nürnberg darf als eine Hauptstadt dieser Kunstwerke gelten, wie Führungen über den Johannis- oder Rochusfriedhof zeigen. Der besonderen Bedeutung dieses Kulturgutes nimmt sich u.a. der Verein für Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur e.V. an (epitaphienkultur.de).

In all seiner Flüchtigkeit und konfrontiert mit der Absurdität seines kleinen Lebens hatte der Mensch schon immer das Bedürfnis, Inseln des Innehaltens und Gedenkens zu schaffen bzw. sich selbst und seine Vergänglichkeit in Erinnerung zu rufen.

Tatsächlich kann der Begriff sowohl in der Bildenden Kunst als auch in der Musik im Sinne eines Klageliedes oder einer Gedenkmusik für Verstorbene eingesetzt werden. Verwandt damit sind das TOMBEAU (ein musikalischer Grabstein) - als bekanntes Beispiel des 20. Jahrhunderts darf Maurice Ravels Le Tombeau de Couperin gelten - und die NÄNIE, mit der man den Trauergesang bei Begräbnissen im antiken Rom bezeichnete.

Später findet sich die Nänie dann auch losgelöst von der Musik in der Poesie. Friedrich Schillers Nänie auf den Tod des Malers Anselm Feuerbach illustriert am Beispiel mythologischer Figuren die Endlichkeit auch des Schönen. Die Meeresnymphe Thetis beweint zuletzt den Tod ihres Sohnes Achilles und rührt damit selbst die Götter zu Tränen:

„Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
dass das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab”.
In überwältigende Musik verwandelt hat diese Nänie Johannes Brahms in seinem Opus 82 für großen Chor und Orchester.

Wir bleiben jedoch unseren programmatischen Schwerpunkten der Renaissance und der Moderne treu und stellen Ihnen einen Prototyp dieser Musikgattung von Nicolas Gombert (1495-1560) vor. Sein Musae Iovis trägt den Untertitel „Epitaph auf den Tod Josquin des Prés“ und darf daher in diesem Konzert nicht fehlen. Dort hören wir u.a.:
„Strenger und maßloser Tod, der sowohl die Tempel des süßen Klanges beraubt als auch die Höfe der Fürsten! Übles wünsche ich dir, der du die Guten hinwegnimmst und die Bösen schonst”.

In seiner Meisterschaft lässt Gombert den Cantus firmus viermal die Formel „Mich umgeben die Seufzer des Todes und die Schmerzen der Unterwelt umgaben mich” wiederholen, Verse, die Teil vieler Requiem-Vertonungen der Renaissance sind.

Diese Epoche ist darüberhinaus vertreten durch die sicherlich weniger bekannten Bernardino de Ribera (1520-1580) und Ambrosio Cotes (1550-1602).

Den Werken beider gemeinsam ist die dichte, symbolträchtige Siebenstimmigkeit.

Während jedoch Ribera in seinem Vox in Rama die Klage der biblischen Rachel nach dem Kindermord in Bethlehem vertont, betrauert Cotes, immerhin Lehrmeister von Tomas Luis de Victoria, profan den Tod seines Königs Phillip II von Spanien.

Eine alttestamentarische Szene aus dem 2. Buch Samuel handelt von der Trauer König Davids um seinen gefallenen Sohn Absalon. Die väterlichen Gefühle des Verlustes überdecken dabei vollständig die staatsmännische Freude über die Zerschlagung der Umsturzpläne seines Sohnes.

Wie unterschiedlich diese Klage in Töne gesetzt werden kann, zeigen unsere beiden Beispiele.

Das Absalon, mi fili, dessen Urheberschaft von Josquin des Prés nicht zu einhundert Prozent gesichert ist, verdichtet den dramatischen Gehalt in vier gleichberechtigten Stimmen streng und eindrucksvoll zugleich.

Ausladend in Ambitus und Dauer gestaltet dagegen Eric Whitacre (*1970) die gleiche Szene in seinem When David heard und nutzt dafür teils meditativ-iterative, teils expressiv-clustergeschichtete Passagen.

An den Sarg einer Geliebten führt uns der britische Komponist und Rechtsanwalt Robert Lucas Pearsall (1795-1856) mit Lay a garland on her hearse, und wir betreten mit diesem anrührenden Beispiel eines musikalischen Epitaphs kurz romantische Gefilde.

Experimentell wird es mit R. Murray Schafers Epitaph for Moonlight von 1969. Wir wagen damit einen Ausflug in eine Komposition in graphischer Notation, die improvisatorische Fähigkeiten fordert und auch textlich neue Wege beschreitet, handelt es sich bei den verwendeten Substantiven doch um Neubildungen von Synonymen zum Wort „moonlight”, erdacht von Schülern einer 7.Klasse in Vancouver.

Benjamin Rimmer (*1993) ließ sich von einem Gedicht eines tschechischen Flüchtlings aus dem Jahre 1940 zu seinem In the Shining Blackness inspirieren, wobei er allerdings nur einzelne Verse auswählte, um durch die Fragmente eine impressionistische und dicht gewobene Klangfläche zu schaffen.

Komplettiert wird unser Programm durch Nana Fortes Do not stand at my grave and weep. Die slowenische Künstlerin schenkt uns damit einen anderen, hoffnungsvolleren Blick auf eine Grabstätte. Die erweiterte Nachdichtung des Gedichtes von Clare Harner (oder Mary Elizabeth Frye?) sei zum Abschluss zitiert:

Steht nicht an meinem Grab und weint,
ich schlafe nicht, wie ihr es meint.
Ich bin der Wind in Wald und Feld,
ich bin der Schnee, der sachte fällt.
Ich bin ein leiser, linder Regen,
ich bin der Fluren reicher Segen.
Bin in des Morgens stillem Lächeln,
ich bin im ersten scheuen Fächeln
der milden Frühlingsluft.
Ich bin ein Sommerrosenduft,
ich bin des Herbstwalds bunte Pracht,
ich bin der Sternenglanz der Nacht.
Drum trauert nicht, habt Zuversicht:
Ich bin nicht hier - ich sterbe nicht.

 

Wir laden Sie herzlich ein zu unserem Epitaph-Konzert am

15.11.2025 um 19:30 in der Herz Jesu Kirche Erlangen oder am

16.11.2025 um 16:00 in der St. Klara Kirche Nürnberg

Für das Vokalensemble Josquin des Prés
Raimund Schuler

 

 
Konzert Dezember 2023: LITANEI VOM HAUCH

Mutter, wozu hast du deinen Sohn aufgezogen? Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält? Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen, und du hast ihm leise was erzählt? Bis sie ihn dir weggenommen haben. Für den Graben, Mutter, für den Graben. ( aus: Der Graben, Kurt Tucholsky 1926)

Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen (Mt 5,9). Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihren Mühen; denn ihre Werke folgen ihnen nach (Offb 14, 13).

Über allen Gipfeln ist Ruh’
Über allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.
(Wanderers Nachtlied, J.W. von Goethe) 

Konzert VERRAT 

Die Litanei vom Hauch ist unser Versuch, eine Brücke zu schlagen vom Volkstrauertag (erstmals 1925 als Gedenktag für die Gefallenen des 1. Weltkrieges begangen) zum Totensonntag und am Ende des Kirchenjahres damit aller Toten zu gedenken, der sanft Entschlafenen ebenso wie der Opfer von kriegerischer Auseinandersetzung, Terror, Agitation und Propaganda.

Abschnitte der lateinischen Totenmessen von Richafort, Victoria und Pizettti werden expressiven Kompositionen des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt, die als Reaktion auf Weltkrieg, Revolution oder Militärdiktatur entstanden.

Hanns Eislers titelgebende Komposition fußt auf Bertold Brechts Gedicht von 1926, welches in drastischen Bildern bayerische Nachkriegsgeschichte von der Hungersnot 1917/1918 über die Räterepublik bis zum Aufkommen nationalsozialistischer Gewalt beschreibt.
Der Schönberg-Schüler Eisler vermeidet in seinen Werken jede Anbiederung, seine politische - marxistische - Haltung bleibt unverhohlen, seine Radikalität spiegelt sich in rhythmischer Prägnanz und Energie, in Expressivität und Verbindung von Atonalität mit populärer Tonsprache unter Einbeziehung traditionellen Formen und Zitate.

Die Ablehnung des klassischen Bildungskanons gipfelt in der vollkommenen Pervertierung des wohl berühmtesten Goethe-Gedichtes Wanderers Nachtlied, welches literarisch und musikalisch litaneiartig die von Agitprop geprägten Strophen kontrastiert.

Wenn wir in der Nr.2 derselben Opus-Zahl singen und hören müssen: „aber wir müssen töten lernen,… wir müssen Blut vergießen, damit kein Blut mehr vergossen wird”, dann ist dies eine Zumutung, die uns schonungslos in das moralische und hochaktuelle Dilemma zwischen Friedfertigkeit und Widerstandsrecht, zwischen Nächstenliebe und Zivilcourage hineinstößt und wie ein Kommentar zur gescheiterten Appeasement-Politik der 30er Jahre wirkt.

Der surrealistische französische Dichter Paul Eluard schloss sich im zweiten Weltkrieg der Résistance an und verfasste die literarische Grundlage zu Figure humaine, der Kantate für gemischten Doppelchor von Francis Poulenc aus dem Jahr 1943. Die Nummer 5 dieses „Plädoyers für die Menschlichkeit” (Herve Lacombe) treibt angesichts des Wahnsinns des Krieges Tucholskys Frage ins Groteske:

Den Himmel und die Planeten verlachend, den Mund wässrig gemacht mit Zuversicht,
wünschen sich die Artigen Söhne und Söhne von ihren Söhnen,
bis sie abgekämpft zugrunde gehen.
Das Warten fällt nur den Narren schwer, es grünt nur der Abgrund,
und die Artigen machen sich lächerlich.

International in erster Linie durch Filmmusik bekannt, ist ein weiterer Komponist in Griechenland auch und v.a. ein Symbol für Widerstand gegen jede Form von Diktatur und Unterdrückung. Mikis Theodorakis widmet 1982 seine Liturgie Den Kindern, getötet in Kriegen. Das Abendgebet aus genannter Liturgie rundet den politisch-weltlichen Anteil des Konzertes und führt hinüber in die theologischen Reflexionen.

1922 entstand die Messa di Requiem von Ildebrando Pizzetti (1880-1968), einem italienischen Vertreter des Neoklassizismus. Im Gegensatz zu Eisler oder Theodorakis identifizierte er sich mit dem rechten Rand des Parteienspektrums und stellte seine Musik durchaus auch in den Dienst der faschistischen Ideologie. Unklar bleibt, ob sein Requiem eine Reaktion auf private oder politische Ereignisse darstellt. Eine fast gregorianisch anmutende, einstimmige Eingangspassage führt im Kyrie dieser Messe zu dichter, teils fugierter Polyphonie, die Pizzettis Ruf als großen Vokalkomponisten begründete.

Ihm gegenübergestellt werden drei Granden der Renaissance, deren Trauermusiken aus persönlicher Betroffenheit und/oder ihren Beziehungen zum spanischen Hof erwuchsen.

Tomas Luis da Victoria (1548-1611) schuf mit seinem Requiem das vielleicht bezwingendste Beispiel einer Totenmesse 1603 aus Anlass des Begräbnisses für Maria, der Schwester Phillips II. Im Responsorium ergänzen sich Gregorianik und dicht strömende 4-6 Stimmigkeit zu einer meditativen, harmonischen Einheit - vorbildgebend für eine Vielzahl von Kompositionen seiner Zeitgenossen.

Neben den klassischen liturgischen Teilen wie Graduale, Offertorium und Responsorium erklangen während einer Totenmesse auch ergänzende Motetten wie das Versa est in luctum : Zur Trauer wurde mein Harfenspiel, mein Flötenspiel zum Klagelied. Lass ab von mir, Herr, denn nur ein Hauch sind meine Tage!

Diesen Text setzte auch Alonso Lobo (1555-1617) für das Begräbnis Phillips II von Spanien in Töne um. Auch wenn Lobo oft im Schatten seines heute berühmteren Kollegen stand, sprechen seine Werke, die durchaus die Intensität Victorias oder Palestrinas besitzen, für sich.

Jean Richafort starb, als Victoria bzw. Lobo geboren wurden und führt uns somit in die Zeit der frühen, frankoflämischen Renaissance, deren wichtigster Vertreter Josquin des Prés ist. Ob dieser wirklich der Kompositionslehrer von Richafort war, ist nicht eindeutig belegt. Auf eine enge, wertschätzende Beziehung lässt allerdings u.a. seine komplexe Missa pro defunctis schließen, die in verschiedenen Messteilen Zitate aus Werken von Josquin aufweist. Die hohe Kunst seines Schaffens beweist Richafort u.a. damit, dass er im Graduale zunächst das Circumdederunt me gemitus mortis, dann ein C`est douleur non pareille als Kanon in den dichten sechsstimmigen Satz einflicht, letzteres aus Josquins Chanson Faulte d`argent. Die Grenzen zwischen weltlicher und geistlicher Musik galten zu dieser Zeit ebensowenig wie unsere gewohnte Einteilung der klassischen Tonalität in Dur und Moll.

Hart und weich stehen sich in der Fotographie Young girl Holding a flower von Marc Riboud gegenüber. Es entstand 1967 am Rande einer Anti-Vietnamkrieg-Demonstration in Washington D.C. und erlangte rasch ikonische Berühmtheit als Beispiel für gewaltfreien Protest. Es hält die Hoffnung wach auf Menschen und Momente, die Gräben überwinden oder vermeiden - auch mit einer Chrysantheme in der Hand einer 17Jährigen.

Wir laden herzlich ein zu unseren Konzerten am

Samstag, 25. November 2023 um 19:30 in der Herz-Jesu-Kirche Erlangen und am
Sonntag, 26. November 2023 um 16:00 in Sankt Klara Nürnberg
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Raimund Schuler
Vokalensemble Josquin des Prés


 

Aktualisiert ( Mittwoch, 27. März 2024 11:43 )
 

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