Saturday, June 3, 2023
Konzert: VERRAT

„Darauf ging einer der Zwölf namens Judas Iscariot zu den Hohenpriestern und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere? Und sie zahlten ihm dreißig Silberstücke. Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, ihn auszuliefern.” (Mt 26, 14-16)

„Auch Judas wird erwählt. Nicht Voreiligkeit, sondern Vorsehung war es. ..Wie sittlich groß ist der Herr, der bei uns lieber einen Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit als an seiner Liebe riskieren wollte! Denn er hatte die menschliche Schwäche angenommen und verschmähte darum auch das Los der menschlichen Schwäche nicht. Er wollte verlassen, wollte verraten, wollte von seinem Apostel ausgeliefert werden, damit auch du, vom Freunde verlassen, vom Freunde verraten, es gelassen erträgst, daß dein Urteil sich irrte, dein Wohltun vergeudet war.” (Ambrosius, Lukaskommentar V, 45)

Konzert VERRAT 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen des Vokalensembles Josquin des Prés!

Um Verrat soll es in unserem diesjährigen Passionskonzert gehen, um die Figur das Judas Iscariot, um eine Auseinandersetzung mit diesem essentiellen Aspekt der Leidensgeschichte Jesu. Dabei möchten wir literarisch einen schärfenden, zum Diskurs einladenden Blick auf Judas werfen, indem Auszüge aus Lot Vekemans gleichnamigen Bühnenwerk rezitiert werden. Hierfür konnten wir Marco Steeger, Schauspieler, Regisseur und Sprecher gewinnen, der viele Jahre am Schauspielhaus des Staatstheaters Nürnberg tätig war.

Anders als Walter Jens in seiner umstrittenen Schrift „Ich, Judas” beleuchtet Vekeman eher die menschliche Seite des Verräters. Während Jens provokant einen fiktiven Seligsprechungsprozess für Judas Iscariot entwirft, lässt Vekeman seinen ungehörten und unerhörten Monolog eher um Verständnis und Rehabilitation kreisen, ohne ins Selbstmitleid oder in Rechtfertigungen zu münden.

In der Literatur finden sich psychologische, politische und eschatologische Thesen zum Verrat des Judas. Geschah es aus reiner Gewinnsucht und Bosheit? Aus Enttäuschung über die unerfüllte Hoffnung, in Jesus den Anführer für einen politischen Umsturz gegen die römische Besatzungsmacht gefunden zu haben? Oder sah sich Judas als Anwalt des damals herrschenden „Messianismus”, der das Ende der Welt und die anstehende Erlösung kommen sah und katalysieren wollte? War der Verrat unausweichlich, unverzichtbar, unnötig?

Kirchenväter wie Ambrosius oder Chrysostomus, frühe Zeugen des Christentums, beziehen dazu Stellung.
„Denn nicht der Verrat des Judas hat die Erlösung bewirkt, sondern Christi Weisheit und die Kunst seiner Vorsehung, indem er sich der Bosheit der Menschen bediente, um uns zu retten…Er spricht deshalb „Wehe” über den Menschen (Judas), damit ja niemand meine, er habe dem Erlösungswerk einen Dienst geleistet… Du solltest die Bösen tadeln, dass sie böse geworden sind, trotzdem es in ihrer Macht lag, es nicht zu werden… Du musst doch wissen, dass niemand genötigt wird, schlecht zu werden.” (Chrysostomus, Matthäuskommentar, 81. Homilie).

In den Responsorien zur Passionszeit, gelesen und gesungen von Gründonnerstag bis Karsamstag, finden sich etliche Passagen zum Verrat und zur Rolle des Judas.

Aus den Texten zum Gründonnerstag hören Sie „ Amicus meus” von Tomas Luis da Victoria und „Judas mercator pessimus” von Carlo Gesualdo di Venosa, zwei Urgesteinen der Renaissancemusik. Beide schließen mit der Formel: „Besser wäre für ihn (Judas), er wäre nicht geboren”.
Beide bestechen mit dichter und intensiver Linienführung, wobei Gesualdo die Grenzen der Harmonik deutlich weiter auslotet und dem Hörer mehr Unerhörtes zumutet.

Am Karfreitag erklang traditionellerweise u.a. das „Jesum tradidit impius”, für dessen Vertonung wir ebenfalls Gesualdo gewählt haben: „Ein Ruchloser hat Jesus an die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes verraten. Petrus aber folgte Ihm aus der Ferne, um den Ausgang zu sehen.”

An dieser Stelle der Passionsgeschichte setzt unser zentrales Werk des Konzertes ein. „Christus vor dem Hohen Rat” Teil 1 von Hans Schanderl (*1960) entstand i.R. des Kompositionswettbewerbes BACH 2000, der ausdrücklich einen Bezug zu J.S. Bach einforderte. Der für dieses Werk prämierte Komponist schreibt: „Dies war für mich damals eine Herausforderung, mir selbst zu erlauben, Fragmente aus der Komposition eines anderen Komponisten zu nutzen und in einer eigenen Komposition zu verarbeiten.”

Der Kompositionsauftrag des Egidienchores Nürnberg führte zur Vertonung des 2. Teils des 1913 entstandenen Gedichts von Bertholt Brecht und zur Uraufführung unter Pia Prätorius im Jahr 2012.
„Den Bachbezug galt es für mich nun auch in diesem zweiten Teil einfließen und durchschimmern zu lassen, d.h. hier konkret bei der Johannespassion zu bleiben, aus der die Ouvertüre in den Teil 1 eingeflossen ist. Neben originalen Auszügen liebe ich es, frei mit assoziierenden Elementen gewisse atmosphärische Bezüge herzustellen, die zugleich Raum lassen und nicht absolut auf Bach festgezurrt werden können”.

Wir hoffen, dass es für Sie als Hörer genauso spannend und begeisternd ist wie für uns als Ausführende, wenn sich aus Schanderls Tonsatz barocke Elemente, der Eingangschor aus der Johannespassion und zwei Solo-Arien ( „Es ist vollbracht” und „Zerfließe, mein Herze”) herausschälen. Und damit unserem Wunsch der Gegenüberstellung bzw. gegenseitigen Durchdringung von alter und zeitgenössischer Musik in idealer Weise entgegenkommen.

Der baskische Komponist Ignacio Mocoroa (1902-1979) liefert mit seinem „O vos omnes” den Beitrag zum Karsamstag und lenkt den Blick des Geschehens auf uns als Zeugen der Passion, bevor Ulrich Hiestermann, im Stil an Charles Ives erinnernd, den Schlusschoral der Johannespassion in Teil 1 seines „Rivus lacrimarum” in achtstimmiger Bitonalität erklingen lässt.

Wir freuen uns außerordentlich, dieses Konzert erstmals unter der Leitung von Annabelle Weinhart gestalten zu dürfen. Während eines Probedirigates konnten wir uns im Herbst von ihren technischen, musikalischen und menschlichen Fähigkeiten überzeugen.

Annabelle Weinhart wurde in Stuttgart geboren. Seit 2013 lebt sie in Weimar und studiert dort an der Musikhochschule Franz Liszt, aktuell im Masterstudiengang Chorleitung. Vorausgegangen war ein Schulmusikstudium mit den Schwerpunkten Oboe und Ensemble-Leitung. Derzeit leitet sie den Universitätschor der TU Chemnitz und ist stellvertretende Chorleiterin der Landesschule Pforta. Als Chor- und Orchesterdirigentin arbeitete sie u.a. in Italien, mit dem rumänischen Nationalchor und dem Elbipolis Barockorchester. Dozenten wie Georg Grün, Yuval Weinberg, Lorenzo Donati und Frieder Bernius ergänzen ihre musikalische Ausbildung und gaben eindrückliche Impulse für ihre Arbeit als Dirigentin.

„Ich bin sehr froh, dass diese Zusammenarbeit mit dem Vokalensemble Josquin des Prés möglich wurde und erlebe eine produktive, aufgeschlossene und freudige Probenarbeit: Ich schaue voller Vorfreude auf die Konzerte und das spannende Programm und möchte Sie herzlich dazu einladen.”

Dem kann ich mich nur anschließen.
Gelegenheit für ein Kennenlernen und ein hoffentlich anregendes und bewegendes Konzert bietet sich
am Samstag, 25.März 2023 und 19:30 in St. Klara Nürnberg und
am Sonntag, 26. März 2023 und 16:00 in Herz Jesu Erlangen.

Bitte beachten Sie die ungewohnte Konzertortreihenfolge und bleiben Sie uns auch unter neuer Leitung gewogen!

Für das Vokalensemble Josquin des Prés
Raimund Schuler

Aktualisiert ( Freitag, 24. Februar 2023 19:32 )
 

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